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Erfahrungsberichte

Belarus

Sich mit dem persönlichen Raum einer anderen Person zu beschäftigen, kann peinlich, ja sogar unheimlich sein. Es gibt dort Grenzen, in deren Nähe man besser nicht geht. Als ich 2005 die fünf Haushalte besuchte, ging alles ziemlich einfach. Viele der Projektbeteiligten waren Freunde von mir, was half, die Kommunikation mit ihnen einfach aufzubauen. Mit denen, die ich zum ersten Mal traf, gab es auch keine Probleme. Die Leute empfingen uns mit offenen Türen zu ihrem Zuhause und auch mit offenem Herzen; bereit, mit uns über ihre Alltagserlebnisse und ihre Zukunftsträume zu reden.  

 

Als ich erfuhr, dass das Projekt «Türen auf» fortgesetzt wird, hatte ich zwei Gedanken: Erstens war ich erstaunt, dass das Projekt so lange «überdauerte», zweitens begann ich neugierig zu werden, was aus dem Leben der damaligen Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Projekt wohl geworden sein mochte. 

 

Zwölf Jahre nach dem ersten «Türen auf»-Projekt war es schwieriger, zu den Wohnsituationen zurückzugehen. Mit einigen Menschen pflegte ich eine lange und sehr nahe Freundschaft, andere aber hatte ich seit 2005 nicht mehr gesehen. Für mich ist es nicht leicht, über eine grosse Zeitspanne auf mein Leben zurückzuschauen und dabei zu realisieren, was alles mit mir passiert ist. Mit vorsichtigem Optimismus versuchte ich, diejenigen zu kontaktieren, an die ich mich erinnerte. Die ersten Versuche – wie ich es vermutet hatte –  misslangen aufgrund der unterbrochenen Kommunikation. 

 

Beim dritten Versuch erhielt ich zum Glück vom Vater der Familie, die ich 2005 zum ersten Mal traf, eine positive Antwort. Er und seine Frau waren interessiert, die Dokumentation zu wiederholen, und gaben gerne Auskunft über die Veränderungen in ihrem Leben und ihre momentane Wohnsituation. Das Ehepaar und seine drei Kinder sind (für belarussische Verhältnisse) eine grosse Familie. Die sehr gebildeten, heute pensionierten Eltern haben zwei Töchter und einen Sohn. Die ältere Tochter war beim ersten Besuch 2005 kurz zuvor in die USA umgezogen (heute lebt sie in Kanada). 

 

Wenn ich an das damalige Treffen mit ihnen denke, erinnere ich mich, mit wie viel Verantwortung und Liebe die Eltern sich um eine angenehme häusliche Atmosphäre gekümmert hatten. Viele Möbel hatten sie nach Mass und passend zur Nutzung jedes Raumes selber gebaut. Die Fünfzimmerwohnung war ein Labyrinth aus Büchergestellen und kompakt möbliert.

 

Auf den ersten Blick hatte sich an der Inneneinrichtung ihrer Wohnung wenig verändert. Ich glaubte mich gar zwölf Jahre zurückversetzt. Das galt vor allem für den Wohnbereich, wo Gäste empfangen werden, und auch für die Lieblingsgegenstände, die noch dieselben sind. Die Aussicht aus der Wohnung war noch genau gleich, ausser dass diesmal alles unter einer winterlich weissen Decke lag. All das liess vermuten, dass diese Leute zu ihren Sachen Sorge tragen und es vorziehen, das meiste Geld ihres Budgets für Reisen und neue Bücher auszugeben. Und tatsächlich: Sofort, nachdem wir mit dem Gespräch begonnen hatten, realisierte ich, dass die wichtigsten Veränderungen nicht die sichtbaren Gegenstände der Wohnung betrafen, sondern wie das Paar die Welt um sich herum wahrgenommen und studiert hat. Die grösste Umstellung ist der Auszug der Kinder, die nun in eigenen Wohnungen leben. Die jüngere Tochter zog – sie formulierte es 2005 als Zukunftswunsch – in die USA, wie es ihre Schwester bereits getan hatte. Der Sohn blieb in der Hauptstadt. Es ist typisch für belarussische Familien, dass die Kinder, eher als in eine andere Stadt im Land zu ziehen, gleich den Kontinent wechseln.  

 

Die Eltern aber haben in den letzten Jahren ihre Fachgebiete um noch viel profundere Kenntnisse erweitert. Sie sprachen viel darüber, wohin und wie oft sie Reisen ins Ausland unternommen hatten, so zum Beispiel im Sommer 2017 nach Deutschland, wo sie Museen, Ausstellungen und Denkmäler besucht hatten. Dank Aufenthalten wie dem in Potsdam, wo sie im Archiv und in der Bibliothek des Historischen Instituts der Universität 

über Fachliteratur zum Zweiten Weltkrieg recherchierten, kamen sie an Informationen, zu denen sie früher keinen Zugang gehabt hatten. Diese Erfahrungen halfen ihnen, die Welt in all ihrer Komplexität und ihren Widersprüchen zu sehen und zugleich sich selber besser zu verstehen und offener gegenüber anderen zu werden. Diese sehr persönliche Erfahrung einer Familie widerspiegelt die Projektidee von «Türen auf» präzise: Sie erlaubt uns, die Welt in all ihrer Vielfalt zu sehen, zu erkennen und zu verstehen, wie nahe wir einander sind. 

 

Anton Slunchenko

> Wohnbeispiele in Belarus

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Lettland

Als das Projekt «Türen auf» in Lettland gestartet wurde, war ich Studentin an der Hochschule Ventspils. Uns wurde damals angeboten, zu übersetzen und auch an dem Projekt mitzuwirken, wir sollten jemanden mit einer interessanten Wohnsituation suchen. Da fiel mir gleich meine Kusine Amanda ein, die in einer kleinen, aber feinen Wohnung in Kuldga wohnte. Lettland ist eigentlich sehr klein, dennoch treffe ich meine Kusine selten. Wir haben schon lachend festgestellt, dass wir uns viel weniger sehen als während meines fünfjährigen Deutschlandaufenthaltes. Damals kam ich zweimal im Jahr nach Lettland und habe dann immer alle mir lieben Menschen besucht.

 

Amanda hat ihre Wohnung in einem alten Haus Schritt für Schritt nach ihrem Geschmack renoviert und eingerichtet. Sie legt grossen Wert auf jedes Detail, daher ging die Renovierung und Einrichtung sehr langsam voran. Zudem hat sie sehr wenig Geld zur Verfügung. Vieles hat sie selber renoviert und auch einige Möbel geschreinert. Bis heute ist die Wohnung eigentlich noch nicht ganz fertig … Sie wartet immer, bis sie genug Geld hat, um sich das zu kaufen, was sie wirklich möchte, nicht das, was günstig ist und sie sich leisten kann.

 

Heute wohnt Amanda die meiste Zeit in Rga und hat gleich auch zugestimmt, ihre Wohnungen zu zeigen, als ich sie auf die Wiederaufnahme des Projektes «Türen auf» angesprochen habe. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter zusammen. Leider ist sie nicht mehr so glücklich mit der Wohnsituation, wie es damals 2005 der Fall war. In Rga hat die Familie eine winzige Wohnung, die sie praktisch und mit Stil eingerichtet haben.

 

Amanda träumt die ganze Zeit davon, nach Kuldga zurückzukehren. Sie ist nicht dort geboren und hat da auch keine Wurzeln.Dennoch wohnte sie nach dem Studium ab dem Jahr 1997 dort. Jetzt ist sie nur noch an Feiertagen und in den Ferien dort. Wegen der Arbeit ihres Mannes Zigmunds zog die Familie nach Rga um. Amanda liebt die Kleinstadt Kuldga – eine ruhige, aber lebendige, kulturell vielseitige Stadt. Die Stadt entwickelt sich immer weiter und wird immer anziehender, auch für Letten aus dem Rest des Landes und für Touristen aus anderen Ländern. Amanda glaubt, nur in Kuldga könne sie glücklich sein. 

Die heutige Wohnung in Rga ist nur eine Zwischenlösung. Ich wünsche allen Letten, dass sie da wohnen können, wo sie sich wohlfühlen und wo ihre Wurzeln sind, und nicht da, wo sie zur Not nur wegen der Arbeit wohnen müssen!

 

Signija Taurin a-Alksne 

> Wohnbeispiele in Lettland

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Rumänien

Vom Projekt «Türen auf» habe ich erstmals am MitOst-Festival 2004 in Vilnius gehört, als Verena Huber dieses in einer Projektideengruppe vorgestellt hatte. Ich fand es eine tolle Idee, und je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass etwas Grossartiges daraus werden könnte. Damals hatte mich die Suche nach der bunten, eklektischen, kulturellen Lebendigkeit von Mittel- und Südosteuropa angezogen. Diese hatte ich erst während meines Studiums für mich entdeckt. 

 

«Türen auf» öffnete nicht nur die Türen der Wohnungen und der Häuser, sondern auch die Menschen selbst. Wir waren ihre Gäste, bekamen durch die Gespräche und die Fotoaufnahmen einen Einblick in ihr Leben und ihre Lebensweise – und erfuhren von ihren unausgesprochenen Träumen. Alle, die diese Ausstellung anschauten, traten als Gast in das Leben dieser Menschen ein. Die Durchführung des Projektes in Rumänien habe ich mit dem Unterrichtsfach «Interkulturelle Erziehung» verbunden, das ich damals an der Babeş-Bolyai-Universität Cluj als wissenschaftliche Mitarbeiterin unterrichte. So wurden die Studierenden –

zukünftige Deutschlehrerinnen und -lehrer – zur «Projektgruppe» und interviewten dafür ihre Bekannten und Freunde aus ihren Heimatorten in ganz Siebenbürgen. Mit der Auswahl der Wohnbeispiele versuchten wir, die Lebensweisen der Angehörigen verschiedener Ethnien und sozialen Schichten darzustellen. Es war eine einzigartige, lehrreiche und menschennahe Erfahrung sowohl für die Studierenden als auch für mich, an diesem Projekt zu arbeiten. 

 

Die Beurteilung des Wandels während der letzten zwölf Jahre in Cluj-Napoca/Kolozsvár/Klausenburg ist eine Frage der Perspektive. Tatsache ist, dass die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt zu Veränderungen in allen Lebensbereichen geführt hat. Die Bewohnerzahl der Stadt wächst konstant, die Peripherie der Stadt dehnt sich aus, überall wird gebaut und investiert. Die Standards und Erwartungen wachsen in allen Bereichen, so zum Beispiel in der Wohnkultur, dem Lebensstil und der Lebensqualität. Zudem herrscht der Trend, aus der Stadt in die neu errichteten Wohnanlagen des Umlandes zu ziehen. In der Fortsetzung des Projektes «Türen auf» war es spannend zu verfolgen, wie und wo die ehemaligen Mitbewohnerinnen aus der damaligen Wohngemeinschaft leben, welchen Lebenshorizont sie heute haben und vor allem, wie sie die in der Wohngemeinschaft gebildeten Freundschaften heute pflegen. 

 

Cristina Bojan 

> Wohnbeispiele in Rumänien

 

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Russland

2005 hat mir meine Lehrerin Marina Zabruskowa vorgeschlagen, bei einem internationalen Projekt mitzuhelfen – dem Projekt «Türen auf». Ich war als Helferin in die Schweiz eingeladen, um die Ausstellung vor Ort zu betreuen und dann bei der Organisation der Ausstellung in Kasan zu helfen. Das war eine wunderbare Erfahrung für mich als Absolventin der staatlichen Universität Kasan für Architektur und Bauwesen, die damals gerade erkannt hatte, wie klein und freundlich die Welt ist. Die Ausstellung hat so vielen Leuten das Gefühl der Einheit und Gemeinsamkeit gegeben. Es war auch sehr schön für die Besucherinnen und Besucher, zu fühlen, wie verschiedene Menschen in verschiedenen Ländern leben und wie ähnlich wir uns doch sind.

 

Das Leben in Russland hat sich in den letzten zwölf Jahren für die Menschen verbessert. Es ist ein Weg zum gesunden Leben, zur gesunden Lebensweise, zu den guten Beziehungen, besonders im Familienkreis. Man bemerkt, dass viele Traditionen verstärkt werden. Viele Familien haben mehr denn je eine Datschakultur: Im Sommer fahren die Familienmitglieder nach der Datscha, wo sie gesundes (Bio-)Gemüse und Obst pflanzen – das war schon immer in Russland eine Tradition. Das vereinigt alle Mitglieder der Familie. Was auch für die Grosseltern wichtig ist, die es gern sehen, wenn sich die ganze Familie um einen Tisch versammelt. 

 

In den letzten Jahren ist auch die allgemeine Wohnkultur in Russland gestiegen. Diese Aussage betrifft sowohl den allgemeinen Lebensstandard wie auch das Design der Wohnungen und das ästhetische Bewusstsein. Die Zeit, wo alles nur funktionell sein sollte, ist vorbei. Mehr Leute kaufen Dinge von besserer Qualität und Form. Der Geschmack der Leute ist europäischer geworden. Sie verwenden in den Innenräumen mehr zeitgemässe Möbel im skandinavischen Stil. Auch die Flächen der Wohnungen sind grösser geworden. 

 

Kasan hat sich in diesen zehn Jahren sehr verändert – in allen Bereichen des Lebens. Die Hauptstadt Tatarstans hat sich zu einer der sichersten Städte von Russland gewandelt. Zum Wendepunkt in der Entwicklung von Kasan zur europäischen Stadt mit einem hohen Lebensstandard hat die Durchführung der 27. Sommeruniversiade 2013 beigetragen. Man hat viel in die Erneuerung der Stadt investiert: in den Bau von Sportanlagen, die Entwicklung des Verkehrs (Verkehrsknotenpunkte, Strassen, neue U-Bahn-Stationen), in die Verbesserung der Medizin. Dank Projekten wie «Green Record» und «Blühendes Kasan» wurde in der Stadt jeder dritte Hof begrünt: 100’000 grosse Bäume, 30’000 Sträucher und fünf Millionen Blumen wurden gepflanzt.

 

Ein wichtiges Thema ist die Verschönerung von Parks und Plätzen: 40 Projekte wurden bis anhin in der Republik Tatarstan realisiert, davon sechs Projekte in Kasan. Kasan zählt jetzt zu den wichtigsten Sportstädten von Russland. Nach der Universiade im Jahr 2013 wurde Kasan der begehrte Spielplatz für internationale Wettbewerbe. 2015 wurde die Stadt Hauptstadt des WM-Wassersports; 2018 werden einige Spiele der Fussball-WM ausgetragen. In der Stadt wird auch viel für die Entwicklung des Volkssports getan. In den letzten fünf Jahren zählte man 33 Sportarten und 33 Sportplätze in Kasan. Der grösste Teil der Sportplätze befindet sich auf dem Gebiet von Schulen, wo sie von den Schulkindern genutzt werden können.

 

Die Mitarbeit am Projekt «Türen auf» hat mir gezeigt, dass es immer zwei verschiedene Wege gibt: zur Vereinigung (wenn Eltern und Kinder getrennt mit eigenen Familien leben, sich aber sehr oft treffen) und zur Trennung (zum Beispiel bei einem Umzug in eine andere Stadt oder ein anderes Land). Viele traditionelle Möbel leben in den Wohnungen der Kinder weiter – aber auch die Wohnkultur, wie zum Beispiel das gemeinsame Verbringen der Erholungstage oder das Unternehmen von Ausflügen zur russischen Datscha. 

 

Aleksandrina Mikhailova 

> Wohnbeispiele in Russland

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Schweiz

2005 bekamen wir von unserer Geografielehrerin am Gymnasium den Auftrag, eine Familie und ihr Zuhause zu porträtieren. Im Wissen, dass unsere Resultate in einer Ausstellung gezeigt würden, war unsere Motivation entsprechend gross. Gemeinsam besuchten meine Kollegin und ich die Familie, zeichneten Pläne und versuchten, zwischen zwei Fussballspielen im Garten die ganze Familie auf einem Foto festzuhalten. Wir hatten keine Ahnung, wie man so eine Situation richtig dokumentierte – doch der Sprung ins kalte Wasser tat uns gut. Zwölf Jahre später traf ich die Mutter Dorien alleine: Die beiden älteren Söhne wohnten zu dem Zeitpunkt im Ausland, Tochter Lena war noch in der Schule und ihr Mann Urs würde später von der Arbeit zurückkommen. Auch das Haus hat sich verändert – und ist «erwachsener» geworden: Der blaue Linoleumboden ist hell lasiertem Parkett gewichen, die Wände dunkel gestrichen. Dorien nimmt sich Zeit für das Gespräch, bringt Anekdoten, erinnert sich an die Zeit von damals und holt Pläne vom Haus hervor. Die Atmosphäre ist entspannt, obwohl die ganze Familie viele verschiedene Hobbys pflegt und stets auf Achse ist. Nach einigen Jahren als freie Journalistin fällt mir das Handwerk nun leichter. Und doch ist es anders, als über Gemeindeversammlungen oder Theaterstücke zu berichten – immerhin untersuche ich gerade eine Privatsphäre, um sie anschliessend der Weltöffentlichkeit zu präsentieren. Verändert hat sich auch die Art der Informationsbeschaffung: Weil die beiden Söhne auf anderen Kontinenten weilten, fand der Kontakt übers Netz statt. Zwar geht das ziemlich viel schneller, aber ich merke auch: So entgehen mir auch kleine Details, die ich während des «Hausbesuchs» und des Interviews mitbekommen hatte. 

 

Die Familie ist ein Paradebeispiel für die Mobilität der heutigen Zeit. Der eine Sohn studierte zum Zeitpunkt des Interviews für ein Semester in São Paolo, der andere wird das während fünf Jahren mit einem Stipendium in der Nähe von New York tun: ein nicht seltenes Bild einer Schweizer Familie. So ist es üblich geworden, zumindest ein Semester an einer ausländischen Universität zu verbringen. Auch keinesfalls klar ist es, dass man nach dem Studium wieder in die Nähe der Eltern zieht und sich dort Arbeit sucht. Zukunftspläne hat der Nachwuchs durchaus, aber an einen Ort gebunden sind diese nicht. Manche mögen das eine Entwurzelung oder eine Abkehr von Traditionen nennen, aber ich glaube, es ist eine bewundernswerte Flexibilität, sich an fremden Orten auf Leute, Kultur, Sprache und viel mehr einlassen zu können. 

 

Hanna Widmer

 

> Wohnbeispiele in der Schweiz

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Slowakei

Das Angebot, beim Projekt «Türen auf – damals / heute» mitzumachen, kam zu einem Zeitpunkt, als ich zum ersten Mal in meinem Leben arbeitslos war. Ich versprach, die Aufgaben zu übernehmen, und dachte dabei zuerst nur daran, wie schön es sein würde, einmal etwas ganz anderes als sonst zu machen. Da ich weder Architektin noch Soziologin bin, habe ich als Erstes Unterstützung in diesen Berufskreisen meiner Umgebung gesucht. Danach besuchte ich die Personen und Orte der Wohnbeispiele, machte Fotos und verfasste Texte. Später wollte ich das Dokumentierte den Fachgelehrten zeigen und um ein bereicherndes Feedback bitten. Die Übersetzungsarbeiten hätten jedoch unsere personellen und zeitlichen Kapazitäten überschritten. 

 

Wie war es, vier fremde Familien zu interviewen und zu porträtieren? Es war etwas peinlich und sehr ernüchternd. Peinlich, weil ich im Nachhinein noch manche Fakten per E-Mail nachfragen musste. Ernüchternd, weil es mich bestätigt hat, dass ich mich am Anfang nicht getäuscht hatte. Ich bräuchte viel, viel Übung, wenn ich als Journalistin tätig sein möchte, aber es war wunderbar, einen Grund zu haben, mit fremden Menschen über das alltägliche Leben zu sprechen und Orte zu besuchen, die sonst ausserhalb meiner gewohnten Wege liegen.Vor zwölf Jahren hat man im Rahmen des Projekts «Türen auf» über die Familie in Kapušany erfahren, dass sie sehr froh sind «ein Haus zu haben, das gross genug ist, damit jedes Familienmitglied genügend Platz und Privatsphäre hat», und dass sie «keine gemeinsamen Hobbys haben, sondern jeder sein Privatleben lebt». 

 

Nachdem ich nun die einzelnen Familienmitglieder besucht habe, komme ich zur Feststellung, dass hier die Flieh- und Anziehungskraft gewirkt hat. Die Eltern sind geblieben, die Kinder sind ausgewandert: 100, 200 und mehr als 400 Kilometer Richtung Westen oder Südwesten. Jeder der neuen Haushalte trägt aber eindeutige Erkennungsmerkmale des Elternhauses: Die hölzernen Böden, Fenster, Türen, Tische, Schränke und Küchen prägen die Haushalte aller Familienmitglieder von Osten bis Westen – das Kruzifix an der Wand eingeschlossen. Es ist auf dem Weg von Kapušany im Nordosten (keine 100 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt) bis nach Bratislava (direkt an der Grenze zu Österreich) nicht verloren gegangen. In Kapušany gibt es so oft wie möglich Grossfamilientreffen. Das Dorf ist mit dem Auto im Idealfall in ungefähr einer Stunde aus Poprad, in zweieinhalb Stunden aus Banská Bystrica und in viereinhalb Stunden aus Bratislava zu erreichen. Eva und Maroš lernten sich beim gemeinsamen Medizinstudium kennen. Jaroslav begegnete seiner Frau durch seine Schwester Eva. Jede der Familien lebt eigenständig, aber sie halten trotz den Distanzen zusammen. Jozef hätte sich zwar einen Nachfolger in der Firma gewünscht, und Melánia hätte die Enkelkinder gerne öfter um sich. So aber freuen sie sich, die jungen Familien 

in ihrem grossen Haus abwechslungsweise zu beherbergen. 

 

Hana Chvílová

> Wohnbeispiele in der Slowakei

In fast allen Ländern konnten wir für die erneute Zusammenarbeit die Mitwirkenden von damals begeistern. Die ehemaligen Studierenden stehen heute im Berufsleben. Sie haben uns ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Projekt damals und heute aufgeschrieben. Wir geben ihnen für die Einleitung zu diesem Buch das Wort.

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