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Rumänien, Cluj-Napoca (1)

2005

Ort

Haus

Wohnung

Personen

 

 

 

 

Fotos

Text

Klausenburg/Cluj-Napoca/Kolozsvár, Kreis Cluj
321’000 Einwohner
Mehrfamilienhaus, Baujahr um die Jahrhundertwende (schätzungsweise 1890-1910), Privatbesitz
ca. 96 m2
Laura (27), Puppenspielerin und Deutschlehrerin
Frau (26), Koordinatorin für Kulturprogramme
Frau (24), Informatikstudentin
Frau (24), Souffleuse     
Zoltán Márton
Daniel Zagrean
Philipp Gebler
Réka Kádár

Laura berichtet: Wir wohnen in dieser Wohnung zu viert. Eine meiner Mitbewohnerinnen studiert Informatik im vierten Semester, eine andere arbeitet als Souffleuse beim Staatlichen Ungarischen Theater Klausenburg, die dritte ist Koordinatorin für Kulturprogramme bei «American Experience». Ich bin 27 und arbeite als Puppenspielerin beim «Puck», Puppentheater Klausenburg, und gebe noch privat Deutschunterricht, womit ich mein Einkommen ergänzen kann. 

 

Leider haben wir kein Haustier, denn wir haben keinen separaten Hof. Wenn ich eines hätte, wäre es bestimmt ein Hund, ein Cocker Spaniel. 

 

Wir essen in der Küche möglichst zusammen. Der Zeitpunkt und die Gesellschaft sind oft unterschiedlich. Wenn die Gäste rauchen, werden sie in der Küche empfangen, sonst im Zimmer. Natürlich nur, wenn es die anderen Mitbewohnerinnen nicht stört. Im Winter sitzen wir meistens mit den Gästen in der Küche, am Tag und auch am Abend, aber vor allem am Abend. Abends, wenn ich zu Hause bin, trinke ich gerne Tee, plaudere mit den Mitbewohnerinnen und Freunden, lese oder schaue Filme.

Ich bin am liebsten im Zimmer, wo meine Lieblingsgegenstände sind. Das sind vor allem meine persönlichen Objekte, z. B. mein Hula-Hoop-Reifen, mein Computer, meine Schmuckstücke, meine Kleider. Ausserdem gehören zu meinen Lieblingsobjekten das Bücherregal und der grosse Sessel. 

 

Im Winter trinke ich zu Hause gerne Tee, unterhalte mich mit den anderen und lese. Am Wochenende bin ich kaum zu Hause, denn ich mache oft Ausflüge.

 

Im Sommer wohne ich nicht hier in Klausenburg, sondern vor allem bei meinen Eltern in Sacele/Hétfalu im Kreis Brasov (dt. Kronstadt, ung. Brassó) und in verschiedenen Ferienlagern.

 

Vor 15 Jahren wohnte ich mit meinen Eltern und meiner Schwester in einem neuen Haus mit zwei Zimmern und Garten. Es war nicht klein, aber auch nicht gross. Die Zimmer hatten einen Durchgang, ein Zimmer wurde immer durchquert, wenn man ins andere wollte. An den gleichen Hof grenzten noch zwei Häuser. Eines war unbewohnt, und im anderen wohnten meine Grosseltern, jetzt nur noch meine Oma. 

 

Damals bestand mein Tagesprogramm aus Hausaufgaben machen und mit meiner Schwester und anderen Kindern spielen. Abends las ich oder plauderte mit den Eltern und Grosseltern im Hof. Im Winter, wenn das Wetter es erlaubte, spielten wir im Schnee, liefen z.B. Schlittschuh oder machten eine Schneeballschlacht.  

2017

Ort

 

 

Haus

Wohnung

Personen

Fotos

Text

Cluj-Napoca (rum.) / Kolozsvár (ung.) / Klausenburg (dt.), Hauptstadt des Bezirks Cluj, Rumänien
410’000 Einwohner   
dreigeschossiges Mehrfamilienhaus, umgebaut nach 1876, Eigentümergemeinschaft
3 Zimmer, 96 m2, 2. Obergeschoss, Eigentum (privatisiert)
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Cristina Bojan
Cristina Bojan

Das Haus Wesselényi steht auf dem Hauptplatz von Klausenburg unter der Nummer 14. Das zweistöckige Haus zählt zu den nationalen Denkmälern Rumäniens. Der untere Teil datiert, laut dem Denkmalarchiv, aus dem 15. Jahrhundert. Am Anfang des 19. Jahrhunderts wurden darauf die zwei Stockwerke gebaut. Die aktuelle Strukturierung entstand nach dem Brand von 1876. Die Fassade des Hauses trägt Stilelemente der Renaissance, aber der Eingang, das Tor und der offene Balkon sind Barock. Die Fensterrahmen der beiden Stockwerke zeigen eine Mischung aus verschiedenen romantischen Elementen auf.

 

Der Namensgeber des Hauses ist sein ehemaliger Besitzer, Wesselényi Farkas, ein Unterstützer und Liebhaber der Künste. 1814 wurde in diesem Haus in Klausenburg zum allerersten Mal die Waldsteinsonate von Beethoven aufgeführt, woran auch der Namensgeber beteiligt war. Im Erdgeschoss des Hauses befand sich lange Zeit die Buchhandlung von Albert Gibbon. Die weitere Geschichte dieser Familie und ihrer Nachfolger verschwindet im Nebel der Zeit und, wie die älteste Bewohnerin des Hauses noch weiss, im Nebel des amerikanischen Kontinents, wohin der letzte Nachfolger der Familie ausgewandert sei. Das Haus ist Zeitzeuge mehrerer Epochen, politischer Regime und der kontinuierlichen Umgestaltung des Hauptplatzes von Klausenburg.

 

Unter dem kommunistischen Regime wurde das Haus (wie damals viele andere grosse Häuser) verstaatlicht und in kleinere Wohnungen aufgeteilt, die den Arbeitern der Partei als Dienstwohnungen zugewiesen wurden. So hat Okos György, ein ehemaliger Journalist der ungarischen Zeitung «Igazság», eine der Wohnungen im 2. Stock mit Ausblick auf den Hauptplatz als Dienstwohnung bekommen. Nach der Wende kaufte er wie alle Nachbarn die Wohnung und lebte da bis ans Ende seines Lebens. Seine zwei Töchter erbten die Wohnung und vermieteten sie mehrere Jahre lang. Kurze Zeit beherbergte die Wohnung eine Arztpraxis und dann eine Reihe von Klausenburger Studenten und Studentinnen, die das frische Flair der Kultur und Kunst wieder ins Haus gebracht haben. Unter diesen studentischen Mietern befanden sich auch drei junge Frauen: Laura, Andrea und Blanka, die sich in dieser Wohnung trafen, als Wohngemeinschaft lebten und dabei eine tiefe Freundschaft schlossen, die bis heute gedeiht. In diesen Jahren, die die drei Frauen als die besten Studentenjahre ihres Lebens bezeichnen, hat die Wohnung einiges miterlebt. Zum Beispiel eine Theateraufführung der Klausenburger Studentischen Schauspielgruppe «Maszkura»: Damals sassen im grossen Zimmer circa 30 junge Menschen im Publikum. Oder die Dreharbeiten des Filmes «Hústorta» («Meatcake») im Jahr 2008 unter der Regie von Jakab-Benke Nándor, die im Zimmer von Blanka (damals Studentin an der Fakultät für Theater) durchgeführt wurden. Es gäbe noch viel mehr Studentengeschichten aus dieser Zeit zu erzählen.

 

Im Jahr 2009 haben die zwei Töchter die Wohnung an einen rumänischen Geschäftsmann verkauft, der die Wohnung renovierte, teilweise umbaute und daraus, wie die drei Frauen behaupten, eine «teure Luxuswohnung gemacht» hat. Auch in dieser Form beherbergt die Wohnung neue Mieter: diesmal jedoch aus dem Wirtschaftsbereich. Und weiterhin ist und bleibt das Haus Zeitzeuge des Lebens auf dem Hauptplatz von Klausenburg.

 

Ob dieses Haus und die Wohnung für die nächsten 15 Jahren einen Wunsch hätte? Vermutlich weiterhin zu bestehen und Menschen zu finden, die seinen Geschichten zuhören.

2005

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2017

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Mit einem rumänisch sprechenden Vater und einer ungarisch sprechenden Mutter ist die Dozentin Cristina Bojan mehrsprachig aufgewachsen, in einem im Nordwesten des Landes gelegenen Dorf, das vorwiegend ungarisch geprägt war. Ihrer Mutter lag die lokale Kultur am Herzen. Sie hat sie in privatem Rahmen gepflegt und volkstümliche Objekte gesammelt. 

Cristina hat in Cluj-Napoca Deutsch und Französisch studiert. Ihre Muttersprache ist zwar Ungarisch, doch ihr Bekanntenkreis ist im multiethnischen Siebenbürgen zu Hause. Die Wohnbeispiele, die sie mit Studierenden dokumentierte, gehören zur ungarischen Minderheit in Siebenbürgen. Es war für sie von Anfang an klar, dass auch Roma in der Ausstellung vertreten sein sollen.

Cluj-Napoca (dt. Klausenburg, ung. Kolozsvár) ist die Hauptstadt des Bezirks Cluj.Das war nicht immer so. Die Stadt wurde im 13.Jahrhundert von deutschen Siedlern, den Siebenbürger Sachsen, am Ufer des Flusses Kleiner Samosch (rum. Somesul Mic) neu erbaut. Von 1790 bis 1848 und von 1861 bis 1867 war Klausenburg Hauptstadt des Grossfürstentums Siebenbürgen.Dann wurde Siebenbürgen integraler Bestandteil der zentralisierten Monarchie. Klausenburg wurde Sitz des Komitas (ung. Kolozs). Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte die Angliederung Siebenbürgens an Rumänien. 

Zu Zeiten der Herrschaft von Ceauçescu wurden alle Minderheiten Rumäniens und damit auch die deutsche und die ungarische Sprache unterdrückt. Das Ziel war eine homogene Bevölkerung. Doch die ungarischen und deutschen Minderheiten hatten immer ihre eigenen privaten, meist religiösen Schulen. Heute gehören Kirchen und Schulen wieder den Minderheiten, zudem gilt Cluj-Napoca als das kulturelle Zentrum der ungarischen Minderheit in Rumänien. Cluj-Napoca ist weiterhin die Hauptstadt der Region Transsilvanien (dt. Siebenbürgen, ung. Erdély) geblieben, selbst wenn diese Region keine administrative Einheit mehr ist wie in der früheren Zeit. Vielmehr hat Siebenbürgen heute eine kulturelle, akademische und wirtschaftliche Bedeutung. Klausenburg wurde zur Stadt der Festivals; vor allem Kino und Theater haben hier eine Tradition. Sie erscheinen immer stärker als Alternativen im Rahmen von Kunst, Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft. Zu der sprudelnden Dynamik tragen natürlich auch die rund 60’000 Studentinnen und Studenten der Stadt bei, die in den sechs staatlichen Universitäten der Stadt studieren. Von diesen ist die Babeş-Bolyai-Universität Cluj, in der auf Rumänisch, Ungarisch und Deutsch unterrichtet wird, eine der wichtigsten in Ost- und Mitteleuropa.

Für das Folgeprojekt 2017 fiel die Auswahl auf die Bewohnerinnen einer herrschaftlichen Wohnung im Zentrum Klausenburgs, die damals in einer Wohngemeinschaft lebten. Ursprünglich gehörten und bewohnten prominente noble Familien die Wohnungen. Nach der Wende konnten sie von der damaligen Bewohnerschaft günstig gekauft werden. Heute jedoch sind sie viel mehr wert und werden an Neureiche teuer vermietet oder verkauft – so geschehen auch im Fall unseres Wohnbeispiels: Die Veränderungen in dem prominenten Haus am Hauptplatz spiegeln die Auswirkung der politischen Entwicklung auf die wirtschaftlich bedingte Alltagskultur. Die weiteren Beispiele porträtieren die ehemaligen Mitbewohnerinnen. 
 

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